Haben Mesut Özil und Ilkay Gündogan deutsche Werte verraten, weil sie mit dem türkischen Präsidenten Erdogan posierten? Könnte man annehmen, doch so einfach ist das nicht. Vielmehr manövrierten sich die beiden ins Dilemma.
Mustafa Özil zählt als energischer Mensch, manche sagen sogar: impulsiv oder cholerisch. Als er noch seinen Sohn Mesut beraten hat, geigte er sogar einem Florentino Pérez die Meinung, woraufhin Real Madrids Präsident ein recht dummes Gesicht gezogen haben soll. Nicht jeder traut sich, einer Weltklasse Mannschaft die Leviten zu lesen, weil ihm das Angebot der Vertragsverlängerung mit dem eigenen Sohn zu gering erscheint. Doch dem Vater des Nationalspielers ging es nicht einfach nur um Geld, viel mehr um Ehre. So etwas lassen sich stolze Türken nicht gefallen, das wäre ja noch besser.
Mustafa Özil begriff Verhandlungen wie diese stets als Kampf, wo andere Berater eher ein Schachspiel sahen, in welchem die Parteien die Figuren Schritt für Schritt positionieren. Doch wer in seinem Leben ständig gegen Vorurteile und für Anerkennung kämpfen musste, der geht eben so vor.
„Mein Vater kam 1961 nach Deutschland als Gastarbeiter, als Bergarbeiter. Bloß mit einem Koffer ausgerüstet, ohne Sprachkenntnis. Er kannte keinen, es existierten keine türkischen Läden, keine Restaurants. Zwar empfing man ihn mit offenen Armen, dennoch hatte er es schwer“, erzählte Mustafa Özil einst. Ihn selbst holte man im Alter von 2 Jahren 1967 nach Deutschland. „Auch das war nicht einfach. Im Gegensatz dazu hat es die dritte Generation deutlich besser“, sagte Özil.
Genauer gesagt, die 3. Generation der Özils: So wurde sein Sohn Mesut am Dienstag für den Kader der deutschen Nationalmannschaft nominiert. Natürlich: Er ist amtierender Weltmeister, Stammspieler bei Löw und Arsenal, die WM in Russland wird sein fünftes großes Turnier. Man hätte es kaum erwähnen müssen, dass Özil erneut vom Bundestrainer ausgewählt wurde, wäre er nicht am Tag zuvor auf diesen Fotos aufgetaucht. Mesut mit seinem Nationalmannschaftskollegen Gündogan, wie sie lächelnd mit Staatschef Tayyip Erdogan posieren und ihm die Trikots überreichen. Gündogan signierte sie sogar: „Für meinen Präsidenten.“
Seitdem ist eine Debatte entfacht, die die WM-Nominierung völlig in den Schatten stellte. Dass Götze und Wagner zu Hause bleiben müssen, geriet völlig in den Hintergrund, ebenso dass Tah und Petersen ins vorläufige Kader kommen. Stattdessen mussten DFB-Präsident Grindel, Manager Bierhoff und Trainer Löw sich erklären. Viele Fragen kamen auf: Dürfen die das machen – mit einem Präsidenten posieren, der Journalisten verhaften lässt, die politische Opposition unterdrückt und auf eine Autokratie hinsteuert? Ist das nicht ein Widerspruch zu den Werten, die auch im Deutschen Fußball-Bund auf die Fahnen geschrieben werden?
„Für meinen Präsidenten“
Auf türkisch würde man sagen: Sayın Cumhurbaşkanım’a saygılarımla. Wörtlich übersetzt heißt das „Hochachtungsvoll für meinen geschätzten Präsidenten“. Jedoch ist das türkische „mein“ nicht mit dem deutschen Äquivalent gleichzusetzen. Im Türkischen wird es häufiger und allgemeiner eingesetzt. Zwar wird dadurch Sympathie und Nähe signalisiert. Dennoch ist es nicht vergleichbar mit der wörtlichen deutschen Übersetzung.Das macht das Treffen mit Erdogan nicht unbedingt besser, doch immerhin hat Gündogan ihn nicht als „seinen“ Präsidenten bezeichnet. Zudem ist zu berücksichtigen, dass sich die beiden Fußballer der Ambivalenz ihrer Tat durchaus bewusst sind. Dennoch haben sie sich dafür entschieden, dem elterlichen Heimatland auf diese Weise Respekt zu erweisen.