All seinen Mut nimmt der Junge zusammen. Als ihm eine Hostess das Mikrofon reicht, zögert er kurz, immerhin wird alles live übertragen, und er befindet sich inmitten vieler lauter Erwachsener mit hoffnungsvollen Blicken. Dann traut sich der Kleine endlich seine Frage auf der Pressekonferenz der Nationalmannschaft in Südtirol an Nils Petersen zu richten: „Ärgern Sie sich darüber, dass Sie nicht auf den Panini-Stickern sind?“
Am dritten Trainingslagertag sitzt Petersen auf dem Podium im warmen Zelt neben dem Platz und lacht. Im Rahmen dieser Aktion darf abgesehen von den Reportern auch mal ein Kind etwas fragen. „Nein, ich ärgere mich nicht und hoffe, dass ich noch in die Mannschaft komme. Vielleicht gelingt es mir auch irgendwann, in das Panini-Heftchen zu kommen“, sagt der Stürmer aus Freiburg.
Der Hersteller druckte seine legendären Sammelalben schon Ende März und hatte Petersen überhaupt nicht auf dem Schirm. Wie auch viele andere Experten, Spieler und Fans. Petersen ist die wohl größte Überraschung in Löws Aufgebot für die Meisterschaft in Russland, der einzige Neue unter 27 Spielern. Zudem ist er einer, für den es im Trainingslager um mehr geht, als nur Spielabläufe einzustudieren und seine Fitness zu stärken. Für ihn ist es die Chance seines Lebens, einen gewaltigen Karriereschritt zu machen. „Es ist eine Bewährungsprobe für Nils“, sagt Oliver Bierhoff, Nationalelf-Manager und ehemaliger Stürmer.
Werner, Gomes und Petersen – das sind die Angreifer Löws. Noch bis zum 4. Juni hat er Zeit, seinen endgültigen Kader bei der Fifa zu melden. Wie wichtig wird Petersen sein? Ebenso wie Jonathan Tah gilt er als Streichkandidat. Dennoch hat er das Potenzial, eine Alternative zu Timo Werner zu sein. Löw schwärmt von Petersens Stärken und wie schnell er Gelerntes umsetzen könne. „Ich traue ihm zu, dass er aus wenigen Chancen Tore erzielt“, erklärt der Trainer.
In den nächsten Tagen will er sehen, wie die Konstellation der Stürmer aussehen wird und ob sich Petersen dem hohen Niveau anpassen kann. „Ich glaube, dass er mit der Aufgabe wachsen wird“, sagt Löw. Einen Vorteil hat Petersen: Er kann auch den Joker. Mit satten 20 Toren nach Einwechslungen hat er den Bundesliga-Rekord. „Diese Statistik lügt nicht. Vielleicht bin ich deshalb dort, wo ich bin“, meint Petersen über das eigene Image als Topjoker.
Papa musste warten
Die Nationalelfgeschichte von Petersen dürfte jeden berühren, der Fußball liebt. Eine Geschichte über Familienzusammenhalt, Träume und Freude. Der schönste Teil der Geschichte beginnt vor etwa 10 Tagen. Petersen befindet sich mit seinen Freiburger Mannschaftskollegen während der Abschlussfahrt auf Mallorca beim Mittagessen. Dort schaut er auf sein Smartphone und erkennt drei Anrufe in Abwesenheit. Löw hatte angerufen. Doch dann erreicht ihn das Trainerteam doch noch. „Ich war zu sehr im Urlaubsfieber, nachdem wir den Klassenerhalt mit Freiburg geschafft hatten.“
Seine Freude ist riesig. Zuerst informiert er seine Freundin und bittet sie darum, alle Urlaubsplanungen zu stoppen. Andreas, seinen Vater, ruft er erst abends an. Denn er hatte befürchtet, sein Vater würde vor Euphorie zu viele Informationen zu früh nach außen geben. „Am Abend konnte er nichts mehr verkehrt machen“, äußerste sich der Stürmer augenzwinkernd.