“Stadtmeister, Stadtmeister, Berlins Nummer eins”, klang es schon kurz vor dem Ende des Hauptstadtderbys zwischen dem 1. FC Union Berlin und Hertha BSC von den Rängen der Alten Försterei, wo der überwiegende Teil der nach der Umstellung auf 2G erstmals nach eineinhalb Jahren wieder maximal möglichen 22.012 Zuschauer glückselig den 2:0-Sieg der Eisernen über den augenscheinlich nur noch dem Namen nach großen Stadtrivalen feierte.
Nicht nur der Erfolg am Samstagabend, für den Taiwo Awoniyi und Christopher Trimmel mit ihren Treffern schon vor der Pause verantwortlich zeichneten, sondern auch der Blick auf die Tabelle macht die aktuelle Rollenverteilung in Berlin überdeutlich.
Union hat Hertha in Berlin den Rang abgelaufen
Union Berlin grüßt von Platz fünf und schickt sich an, die mit Rang sieben schon sensationell verlaufene Vorsaison sogar noch zu toppen.
Hertha BSC dagegen findet sich trotz der in den vergangenen knapp zwei Jahren von Lars Windhorst investierten 375 Millionen Euro nur auf dem 14. Tabellenplatz wieder und musste erst kürzlich in Person von Sportvorstand Fredi Bobic einräumen, dass nach einigen teuren Transfers und aufgrund von Corona von den Investoren-Millionen nicht mehr viel übrig ist.
Ruhnert und Fischer als Väter des Erfolgs
Während man bei Hertha BSC nicht umhin kommt, von Misswirtschaft auf vielen oder gar allen Ebenen zu sprechen, scheint doch der Kader auch nur bedingt besser als die derzeitige Platzierung, sind die Erfolge von Union das Ergebnis harter und zugleich hervorragender Arbeit.
Angeführt von Klubboss Dirk Zingler, der nicht davor zurückschreckt zu polarisieren, ist vor allem der seit 15. Mai 2018 als Geschäftsführer Profifußball und Leiter der Lizenzspielerabteilung tätige Oliver Ruhnert maßgeblich für die herausragende Entwicklung der Eisernen zuständig.
Eine der ersten Amtshandlungen Ruhnerts war im Sommer die Verpflichtung von Trainer Urs Fischer, der Union auf Anhieb in die Bundesliga, im ersten Jahr zum souveränen Klassenerhalt und dann sogar in die neue Conference League führte.
Maximaler Erfolg mit kleinem Budget
Dass es international nicht wirklich rund läuft und in einer Gruppe mit Slavia Prag, Feyenoord Rotterdam und Maccabi Haifa das frühe Aus droht, ist zwar schade, aber letztlich zu verschmerzen.
Denn obwohl die mittlerweile im dritten Bundesliga-Jahr fließenden, hohen TV-Gelder für eine Annäherung an seit Jahren im Oberhaus etablierte Vereine wie den SC Freiburg, den FC Augsburg oder den 1. FSV Mainz 05 gesorgt haben, zählt das Budgets Unions immer noch zu den Kleineren. Gemessen am finanziellen Aufwand wäre somit eher ein Platz zwischen Rang elf und 14 zu erwarten denn ein erneutes Mitmischen um Europa.
Herausragende Transfers: Perfekte Personalpolitik als Schlüssel
Aber mit einer durchdachten Personalpolitik hat sich Union einen Kader zusammengestellt, der sich sowohl in der Breite als auch in der Spitze selbst vor einigen Konkurrenten, die sich vermeintlich in einem höheren Regal bewegen, nicht verstecken muss.
So ist etwa mit Max Kruse oder Taiwo Awoniyi jede Menge individuelle Klasse in der Offensive vorhanden, die durch Andreas Voglsammer, Kevin Behrens oder Sheraldo Becker ergänzt und gegebenenfalls auch ersetzt werden kann.
Behrens, der jahrelang in der 2. Bundesliga beim SV Sandhausen seine Qualitäten gezeigt hat, steht dabei genau wie der von Hannover 96 zurück ins Oberhaus geholte Genki Haraguchi sinnbildlich für die kluge Transferpolitik, die auch nicht davor Halt macht, Spielern im fortgeschrittenen Fußballer-Alter eine Chance zu geben.
Union Berlin hat sich in der ersten Liga etabliert
Die Gefahr, dass Leistungsträger wie Torwart Andreas Luthe, Kruse, Trimmel oder auch Innenverteidiger Robin Knoche, die alle de 30er-Marke bereits geknackt haben oder ganz nahe dran sind, abgeworben werden, ist dabei relativ gering.
Zwar sind etwa mit dem nur bis Saisonende gebundenen Marvin Friedrich, dem ausgeliehenen Timo Baumgartl oder Awoniyi Akteure vorhanden, die nicht einfach zu halten sein dürften, doch ist es Ruhnert und seinem Team im Fall der Fälle zuzutrauen, wieder passenden Ersatz zu finden.
Anders als nach dem Aufstieg 2019 vielfach vermutet, scheint Unions Bundesliga-Abenteuer kein kurzes Intermezzo zu bleiben. Stattdessen wird man sich bei der Hertha merklich straffen müssen, damit der Stadtmeister künftig nicht weiterhin aus Köpenick kommt.