Die EURO 2024 steht ins Haus. Unter die Fußball-Euphorie mischen sich auch gemischte Gefühle. Die Kostenexplosion ist Knebelverträgen mit der UEFA geschuldet und entlädt sich auf den Schultern der Steuerzahler.
Vor dem Anpfiff stehen die Aufreger. Das Turnier kostet die zehn Spielstätten einiges mehr als geplant. In Summe ist von mindestens 66 Millionen Euro die Rede. Die UEFA kontert mit der Aussicht auf Rekordeinnahmen.
Berlin wird zur Fußball-Hauptstadt
Ende der Woche beginnt die Heim-EM. Dies dürfte in Berlin auch beim Letzten angekommen sein. Vor dem Brandenburger Tor fällt der Blick auf das weltweit größte Fußballtor. Vor dem Tor wartet ein Rasenteppich in der Größe von zehn Fußballfeldern auf Fans. Mehr als 50.000 Menschen sollen hier beim Publik Viewing aufeinandertreffen.
Berlin rechnet mit 2,5 Millionen Fußball-Urlaubern aus aller Welt. Dies verschaffe der Hauptstadt einen „enormen wirtschaftlichen Aufwind“. Die Senatsverwaltung geht von Einnahmen in Höhe von mindestens 600 Millionen Euro aus.
Teure Fußball-Party
Millionen Fans, ausgelassene Stimmung, volle Kassen – ist die Rechnung zur EURO 2024 wirklich so simpel? Sicher nicht. Bevor es überhaupt losgehen kann, muss Berlin in die eigene Tasche greifen. Allein für die beiden Mega-Fanmeilen an Brandenburger Tor und Reichstag musste die Stadtverwaltung stolze 24 Millionen Euro aufbringen.
Dieser Betrag ist nur ein Bruchstück von dem, was die deutschen Steuerzahler an EM-Kosten erwartet. Ein Großteil der Summe entfällt auf Bund, Länder und die zehn Spielstätten. Was letztlich an Kosten anrollt, schien während des Bewerbungsprozesses nicht jedermann bewusst.
EM-Spielorte haben sich verkalkuliert
Auf die zehn Austragungsorte des Turniers kommen erhebliche Mehrkosten zu. CORRECTIV.Lokal und FragDenStaat haben recherchiert: Die Kosten für Berlin und Frankfurt haben sich seit Beginn der Bewerbungsphase im Jahre 2017 beinahe verdoppelt. Aktuell sind die Ausgaben der zehn Spielorte auf etwa 295 Millionen Euro angewachsen.
Diese Summe kristallisiere sich heraus, als Auskunftsanfragen an die Städte gestellt wurden. Weiterhin hatten die Medien Zugang zu Dokumenten und zwischen den Städten und den Verbänden geschlossenen Verträgen.
UEFA sieht die Lage entspannter
Die Ausgaben zulasten des Steuerzahlers gehen unter die Decke. Die UEFA bleibt entspannt und spricht aktuell von einem „Budgets mit Augenmaß“, liebäugelt sogar mit einem rekordverdächtigen Gewinn von 1,7 Milliarden Euro.
Angesprochen auf die Kosten-Explosion schreibt die UEFA: „Im Planungsverlauf kann festgehalten werden, dass die veranstaltenden Städte die Budgets mit Augenmaß aufstellten und in eigener Verantwortung verabschiedeten.“ Der Dachverband sieht ein mögliches Risiko für die Spielorte nicht und hält alle Investitionen für planbar.
Dieses „Augenmaß“ bedeutet konkret für Berlin Mehrausgaben von 40 Millionen Euro, mit denen zum Bewerbungsstart niemand gerechnet hatte. Die Stadt sucht nach Erklärungen und findet diese unter anderem in der Corona-Pandemie und deren Auswirkungen.
Klare Auskunft und vage Behauptungen
Der Kölner Stadtkasse stehen Mehraufwendungen in Höhe von beinahe sechs Millionen Euro ins Haus. Am Rhein scheint man sich damit arrangiert zu haben. In einem Projekt derartiger Größenordnung seien mit der Zeit Kostenexplosionen keine Seltenheit. Besonders in Sachen Sicherheit waren finanzielle Nachbesserungen notwendig, so die Stadt auf Anfrage.
Was mit den Kosten in Düsseldorf, Hamburg und Stuttgart passiert ist, bleibt dagegen offen. Düsseldorf und Hamburg schweigen sich zu den Zahlen aus. Stuttgart soll gar nicht erst damit begonnen haben, eine Kalkulation aufzustellen. Es war nicht möglich, eine Gesamtkalkulation aufzustellen, so ein Stadtsprecher. In der Praxis kann dies nur bedeuten, dass über die Jahre immer wieder steigende Ausgaben angemeldet wurden und die Kosten sich sukzessiv nach oben bewegten.
Offene Fragen zur Refinanzierung der EURO
Bereits bevor der Ball vor heimatlicher Kulisse rollt, stellt sich die Frage, wie sich das Turnier und seine Kostenexplosion refinanzieren lässt. CORRECTIV.Lokal bekam auf Anfrage ganz unterschiedliche Antworten von den teilnehmenden Städten.
Stuttgart hielt sich auch hier bedeckt und wollte sich nicht äußern, nicht spekulieren, da verschiedene Faktoren eine Rolle spielten. Die Kölner betonten, sich in ihrer Gastgeberrolle wohlzufühlen, da gerade solche Events die Lebensqualität der Stadt entscheidend verbessern.
Berlin und München nennen konkretere Zahlen und rechnen mit dreistelligen Millioneneinnahmen. Wie sich der Geldsegen zusammensetzen soll, lassen die beiden Städte allerdings offen. Die Leipziger präsentieren gar eine „Potenzialanalyse“. Das Tourismus-Beratungsunternehmen DWIF hat einen Bruttoumsatz von beinahe 60 Millionen Euro errechnet, resultierend aus Übernachtungszahlen und Tagesgästen.
Sportgroßveranstaltungen ohne nachweislichen WOW-Effekt
Wolfgang Maennig, seinerseits Professor für Wirtschaftspolitik an der Hamburger Universität, hält derartige Berechnungen für wenig glaubwürdig. Wie er betonte, lassen sich die positiven Effekte derartiger Events aus Steuermehreinnahmen, Einkommen und Übernachtungszahlen nicht nachweisen.
In den Städten boomt es im Sommer ohnehin an Touristen. „Die Hotellerie erwartet durch das Turnier folglich kaum Mehreinnahmen“, so Maennig. Die für Übernachtungsgäste angesetzten Ausgaben seien ohnehin oft zu hoch und die lokale Bevölkerung darf bei derartigen Aufstellungen keine Rolle spielen. In Leipzig war dieser Aspekt mit in die Kalkulation eingeflossen.
Die EM lässt die Ausgaben der Menschen vor Ort nicht explodieren, was ausgegeben wird, bleibt am monatlichen Nettoeinkommen orientiert. Nicht zu unterschätzen seien kurzfristige Effekte wie die internationale Aufmerksamkeit und der Erlebniswert des Turniers. Den Steuerzahler dürfte dies aber kaum entlasten.