Englands Nationalteam ist ausgerechnet im WM-Jahr in eine tiefe Krise gerutscht. Im vergangenen Jahr waren die Three Lions im EM-Finale gegen Italien haarscharf am europäischen Titel vorbeigeschrammt. Man glaubte auf dem besten Weg zu sein, bei der WM in Katar ernsthaft um den Titel spielen zu können. Dann kam 2022 der schwer erklärliche Niedergang. In allen sechs Pflichtspielen des WM-Jahres gelang kein einziger Sieg, dafür gab es drei Niederlagen. Die größte Blamage war dabei das 0:4 gegen Ungarn im Juni vor heimischem Publikum. Auch bei den letzten beiden Auftritten im September (0:1 gegen Italien und dann am Montag das 3:3 gegen die DFB-Elf) hinterließ das Team von der Insel keinen guten Eindruck. Die Kritik am englischen Trainer Gareth Southgate wächst.
Was man Southgate vor allem vorwirft, ist das sture Festhalten an taktischen Konzepten, die erkennbar wiederholt nicht zum Erfolg führten. Bei dem gigantischen Potential an hochklassigen Spielern müsste für die Engländer doch viel mehr drin sein.
Southgates Erfolgsstory – bis Ende 2021
Gareth Southgate hatte das englische Nationalteam 2016 an seinem vorläufigen Tiefpunkt übernommen und in den folgenden Jahren zu seinen größten Erfolgen seit langer Zeit geführt.
England war bei der WM 2014, als Deutschland Weltmeister wurde, bereits in der Vorrunde ausgeschieden. So wie die DFB-Elf 2018. Unter Southgate erreichte das englische Team 2018 das WM-Halbfinale, im vergangenen Jahr dann das EM-Finale.
Southgate schien aus der englischen Elf, die bei großen internationalen Turnieren noch nicht allzu viel gerissen hat (ein einziger WM-Titel 1966, noch kein EM-Erfolg), ein Team geschaffen zu haben, das nach der WM-Krone greifen könnte.
Abwehrchef Maguire im Formtief
2022 präsentiert sich die Southgate-Elf dann auf einmal erschreckend harmlos. Keines der sechs Pflichtspiele konnte gewonnen werden, drei gingen verloren. Und in den ersten fünf Partien gelang kein Tor aus dem Spiel heraus.
Den einzigen Treffer in diesen fünf Nations League-Begegnungen erzielte Kane beim 1:1 gegen Deutschland am 7. Juni vom Elfmeterpunkt!
Die einstige Erfolgsbasis der Engländer – die stabile, nahezu unüberwindliche Defensive – ist mittlerweile ihre größte Baustelle. Unter anderem auch wegen Harry Maguire, dem ehemals teuersten Abwehrspieler der Welt, der derzeit vollkommen neben sich steht.
Defensiv anfällig, offensiv zahnlos
Im Nations League-Rückspiel gegen die DFB-Elf vergangenen Montag zeichnete Maguire mit einem ungeschickten Foul an Musiala sowohl für das 0:1 verantwortlich, als auch für das 0:2 durch Havertz, das durch einen Fehlpass Maguires eingeleitet worden war.
Man kritisiert vor allem auch die mangelnde taktische Flexibilität des englischen Nationalcoachs. Das Erfolgsrezept der Southgate-Elf im vergangenen Jahr war vor allem das schnelle Umschaltspiel nach gegnerischen Fehlern.
Gegen disziplinierte und tief verteidigende Mannschaften wie die Italiens und Ungarns fand Southgate in diesem Jahr noch keine Antworten.
Die WM in Katar ist Southgates letzte Chance
Am Rätselhaftesten ist, dass Southgate nichts aus der so brillanten Offensivabteilung macht. Kane, Sterling, Foden, Mount, Grealish, Sancho, Rashford: In der Premier League machen es die meisten der Genannten deutlich besser.
Kane hat in dieser Saison schon sechs Treffer erzielt, Sterling immerhin drei; auch Foden, der bei City mit dem neuen Liga-Torschützenkönig Erling Haaland (11 Treffer) glänzend harmoniert, hat in der englischen Liga in der jungen Saison auch schon zwei Tore erzielt. Warum treffen die englischen Stürmerstars nicht in der Nationalmannschaft?
Gareth Southgate zeigt sich von der wachsenden Kritik an ihm äußerlich unbeeindruckt. Auch die Spieler scheinen bis auf Weiteres hinter ihm zu stehen.
Sollte dem englischem Nationalcoach jedoch bis zur WM taktisch nichts Neues einfallen, droht ein frühes Aus. Dann könnte die WM in Katar Southgates letztes Turnier gewesen sein.