Die Spieler und Verantwortlichen von Borussia Dortmund haben ihre Ambitionen vor dieser Saison ungewohnt offensiv formuliert. Ohne Wenn und Aber hat der BVB die Deutsche Meisterschaft als Ziel ausgegeben, daran müssen Club und Mannschaft sich jetzt messen lassen. Schon nach dem dritten Spieltag ist die Stimmung in Dortmund allerdings komplett im Keller. Die peinliche Niederlage gegen Union Berlin am vergangenen Samstag war ein Schock, der nachwirkt. Zur Tagesordnung kann beim BVB jetzt keiner übergehen, plötzlich werden sehr grundlegende Fragen gestellt. Im Zentrum der Kritik steht dabei Trainer Lucien Favre, der es einfach nicht schafft, das Potenzial der Truppe auf den Platz zu bringen. Wie lange geht das noch gut?
Ein einziges Spiel hat gereicht, um die Dortmunder Fußballwelt komplett ins Wanken zu bringen. Denn der BVB hat nicht einfach nur ein Spiel verloren, er ist bei einem Aufsteiger – der individuell wohl die schlechteste Mannschaft der Bundesliga hat – völlig verdient mit 1:3 untergegangen. All die Superstars der Borussia zeigten keine Gegenwehr, kein Aufbäumen.
Dortmund und das Mentalitätsproblem
Nach dem Schlusspfiff stellte sich Mittelfeldspieler Julian Brandt – dem zumindest das Bemühen nicht abzusprechen war – vor die TV-Kameras und analysierte, dass Union Berlin einfach “mehr Willen” gezeigt habe. Da stellte sich nicht nur den völlig frustrierten BVB-Fans die Frage: Ja, warum war das denn so?
Als wenn die Dortmunder nicht genau gewusst hätten, was sie an der Alten Försterei erwartet. Ein spielerisch unterdurchschnittlicher Gegner, der aber jede Menge Feuer, Kampf und Leidenschaft in die Waagschale schmeißen würde. Und diese Grundtugenden scheinen gegen den BVB derzeit zu reichen.
Ein Trainer ohne Ansprache
Neu ist dieses Phänomen nicht. Schon in der vergangenen Saison verschenkte die Borussia letztlich den Meistertitel durch uninspirierte und leicht überhebliche Auftritte gegen Fortuna Düsseldorf (1:2), den 1. FC Nürnberg (0:0) oder den FC Augsburg (1:2). Der BVB hat ganz offenbar ein Mentalitätsproblem – und Trainer Lucien Favre wirkt komplett hilflos.
Und es liegt nicht nur am limitierten, deutschen Sprachschatz des Franko-Schweizers, dass bei ihm die für einen Trainer so wichtige Komponente der Ansprache komplett wegfällt. Dass Favre kein Motivator der Kategorie Klopp ist, wusste man in Dortmund auch vor seiner Verpflichtung. Wie sehr sich dieses emotionale Defizit nun aber auswirkt, ist bedenklich.
Totenstille in der Auszeit
Bezeichnend war am Samstag die inzwischen schon fast berüchtigte Szene Mitte der zweiten Halbzeit: Der BVB lag mit 1:2 zurück, als Schiedsrichter Brych aufgrund der hohen Temperaturen zur Trinkpause pfiff.
Und während Berlins Trainer Urs Fischer – ebenfalls Schweizer und nicht gerade als Emotionsmonster bekannt – die ungewöhnliche Auszeit für taktische Anweisungen, Einzelgespräche und motivierende Gesten nutzte, blieb Lucien Favre einfach auf seiner Bank sitzen und beriet sich mit seinen Co-Trainern.
Keine Gegenwehr
Dabei wäre noch mehr als genug Zeit gewesen, das Match mit einer anderen taktischen Marschroute zu drehen. Auch die Spieler der Borussia wirkten seltsam leblos. Wenige Meter entfernt pushten sich die Unioner, beim BVB wurde blieb es ruhig. Und genauso lief die Partie dann auch weiter: Leidenschaftliche Berliner besiegten ideen- und emotionslose Borussen.
Tuchel hatte einen Plan B
Man mag über den in Dortmund äußerst umstrittenen Thomas Tuchel ja sagen, was mas möchte, aber der aktuelle PSG-Trainer hatte immer einen Plan B – und notfalls auch einen Plan C. Mit der Philosophie von Lucien Favre wird der BVB keine Titel gewinnen, das scheint immer deutlicher zu werden.
Dieser Stil passt nicht zu Borussia Dortmund
Aber was noch viel schlimmer ist: Der Coach erreicht weder Herz noch Kopf seiner Spieler. Der Auftritt am Samstag in Berlin war schlichtweg ein Offenbarungseid für einen Verein wie Borussia Dortmund, dessen Marketing-Abteilung noch immer mit “Vollgasveranstaltungen” und “Adrenalin-Trips” wirbt.
Wann handeln die Bosse?
Es muss sich etwas ändern in Dortmund. Auch die Trainerposition darf kein Tabu mehr sein, so bitter das zu diesem frühen Zeitpunkt der Saison auch sein mag. Denn zur Wahrheit gehört auch: Schon vor einer Woche in Köln ist die Borussia nur um Haaresbreite an einer Blamage vorbeigeschrammt. Da liegt etwas sehr, sehr grundsätzlich im Argen.