Der Weg von Nico Schulz bis in die Nationalmannschaft

Nico Schulz
foto2press

Nach dem WM-Desaster setzt Joachim Löw auf der Neue in der Nationalmannschaft. Einer davon ist Nico Schulz von der TSG Hoffenheim. Der Außenspieler blickt auf eine lange Zeit des Leidens zurück. Bis Julian Nagelsmann ihm geholfen hat. 

Drei Spieler stehen sinnbildlich seit dieser Woche für den Neubeginn in der Nationalmannschaft der Deutschen. Er ist einer davon. Bundestrainer Joachim Löw hat Nico Schulz für die ersten zwei Länderspiele nach dem Debakel in Russland einberufen. Der 25-jährige Linksverteidiger von Hoffenheim wurden zusammen mit Kai Harvertz (Leverkusen) und Thilo Kehrer (PSG) für die Partien gegen Frankreich und Peru ins Boot geholt.

Interviewer: Herr Schulz, wann wurden sie vom Bundestrainer erreicht?

Schulz: Es war Dienstag Abend, als er mich anrief.

Interviewer: Und Sie gingen gleich ran? Wahrscheinlich kannten Sie die Nummer nicht.

Schulz: Glücklicherweise hatte er die Nummer nicht unterdrückt, sonst hätte ich es wahrscheinlich ignoriert. (lacht)

Interviewer: Und was hat er gesagt?

Schulz: Ach, so lange haben wir gar nicht gesprochen. Er hat mir seine Entscheidung verkündet und gesagt, ich habe mir die Berufung durch meine Leistungen der vergangenen Saison verdient.

Interviewer: Vor dem Aus bei der Weltmeisterschaft haben sie mit Marvin Plattenhardt noch gewitzelt, wer denn von Ihnen mit nach Russland fahren würde. Schließlich war er es. Da können Sie fast schon froh sein, dass Sie das Debakel nicht miterlebt haben.

Schulz: Vielleicht kann man das im Nachhinein so sehen. Allerdings wäre ich trotzdem gern in Russland dabei gewesen. Doch das war nie ein großes Thema für mich. “Platte” war verdient mitgereist.

Interviewer: Sie werden für Ihre Schnelligkeit, gute Flanken und Durchschlagskraft gerühmt. Würden Sie dem zustimmen?

Schulz: Das klingt nach mir.

Interviewer: Sie haben sich damals in Berlin für größere Aufgaben in Mönchengladbach angeboten, erlebten aber verletzungsbedingt eine eher schwierige Zeit. Wie war das im Rückblick?

Schulz: (hält kurz inne). Das war ziemlich schwer. Ich verließ Berlin mit großen Plänen, um für einen größeren Klub zu spielen. Gladbach war damals in der Champions League. Doch dann kam kurz nach Saisonstart ein Trainerwechsel. Der neue Coach baute nicht wirklich auf mich. Zudem folgte der Kreuzbandriss – und mit ihm gingen viele Selbstzweifel einher. Mental war das mitunter eine harte Zeit.

Interviewer: Haben Sie seitdem mehr Demut? Genießen Sie die Tage mehr?

Schulz: Zu allererst genieße ich meine Gesundheit und dass ich auf dem Feld mit den Jungs trainieren kann. Die Zeit im Kraftraum war hart. Auch für den Kopf war das nicht einfach. Inzwischen achte ich mehr auf den Körper und nehme nicht alles, was mich beim Training beschäftigt, nach Hause mitzunehmen. Ich will nicht, dass meine Laune daheim in Abhängigkeit zu Sieg oder Niederlage steht. Das funktioniert natürlich nicht immer.

Interviewer: 2017 bekamen Sie einen Neuanfang in Hoffenheim.

Schulz: Anfangs hatte ich nicht viele Spiele, allerdings mehr als in Gladbach. Mir war aber vorher schon klar, dass ich hier nicht sofort zum Stammspieler werde. Die Truppe hat im Vorjahr den vierten Platz belegt. Diese Jungs können alle richtig was. Daher musste ich kämpfen.

Interviewer: In der Rückrunde hatten Sie eine Leistungsexplosion. Wie erklären Sie das?

Schulz: Je mehr Spiele ich spielte, desto besser wurde auch meine Verfassung. Das kam von alleine. Wenn du zwei, drei gute Spiele am Stück machst, kommst du voll in den Fluss.

Interviewer: Wie gut geht Ihr persönlicher Aufstieg mit Systemen wie dem 3-4-3 einher – in welchem ein Hybrid aus Mittelfeldspieler und Außenverteidiger benötigt wird?

Schulz: Bei Julian Nagelsmann sind wir sehr flexibel. Es hängt immer von unserem Plan ab, da wird ständig etwas verändert, auch mitten im Spiel. Mal bin ich eher in der Viererkette, danach wieder weiter vorne. Taktisch konnte ich hier sehr reifen.

Interviewer: Wie sehr hat Julian Nagelsmann zu Ihrem Aufstieg beigetragen?

Schulz: Sehr. Doch nicht nur er. Es war der ganze Klub. Hier erhalte ich Vertrauen, das mir bei Gladbach gefehlt hat – und welches auch in Berlin nicht so spürbar war.

Interviewer: Genießen Sie jetzt schon jeden Tag unter ihm – angeblich wird er nach dieser Saison nach Leipzig gehen?

Schulz: Ich genieße die Tage nicht nur jetzt. Schon in der letzten Saison habe ich das getan. Er ist ein großartiger Trainer.

Interviewer: Der Zeitpunkt, an dem Sie ins Nationalteam berufen wurden, ist nicht unbedeutend. Seit Langem stand die Auswahl nicht mehr so stark im Fokus. Spüren Sie einen zusätzlichen Druck?

Schulz: Das ist schwer zu sagen. Noch bin ich nicht für Deutschland aufgelaufen. Ich denke, dass das ohnehin ein bestimmter Druck entsteht, wenn man für ein Land spielt.

Interviewer: Man hat den deutschen Fußball seit dem WM-Aus arg kritisiert. Was ist Ihre Meinung dazu?

Schulz: Natürlich ist das Turnier aus deutscher Sicht enttäuschend verlaufen. Dennoch ist der deutsche Fußball gut aufgestellt. Man sollte kein Drama daraus machen. Jeder Verein weiß, dass in England das große Geld ist. Daher ist uns allen bewusst, wie wichtig die Jugend- und Nachwuchsarbeit ist. Sie darf nicht vernachlässigt werden.

Interviewer: Rechnen Sie sich Chancen für die Länderspiele aus?

Schulz: Da ich eingeladen worden bin, würde ich auch gerne spielen – aber ich erhebe keinen Anspruch darauf.

Interviewer: Innerhalb weniger Tage sind Sie ins Rampenlicht gerückt. Vor der Nominierung durch Joachim Löw hat man viel über Ihr Foul an Coman debattiert. Gab es einen Kontakt zwischen Ihnen?

Schulz: Direkt nach dem Spiel schrieb ich ihm eine SMS. Er war froh und meinte, dass alles in Ordnung sei. Dennoch ist er sehr geknickt, was ich gut nachvollziehen kann.

Interviewer: Ihr Vater kommt aus Italien. Wie viel Italien haben Sie in sich?

Schulz: Puh. Ein wenig verständigen könnte ich mich.

Interviewer: Gibt es etwas, das Sie an sich als italienisch bezeichnen würden?

Schulz: Was wäre denn typisch italienisch?

Interviewer: Die Deutschen, hört man immer wieder, seien diszipliniert, pünktlich und teilweise verbissen. Der Italiener wäre eher ein Genießer.

Schulz: Als großen Genießer würde ich mich auch bezeichnen. Ich versuche dennoch, immer pünktlich zu kommen. (lacht)