In einem exklusiven Interview mit der ‘Welt' hat der Manager der deutschen Nationalmannschaft Oliver Bierhoff Fehler im Umgang mit der Affäre um das Erdogan-Treffen von Mesut Özil und Ilkay Gündogan eingeräumt. Die beiden deutschen Nationalspieler haben während des Wahlkampfs vor der türkischen Präsidentschaftswahl dem späteren Sieger dieser, Recep Tayyip Erdogan, ihr jeweiliges Trikot überreicht. Ilkay Gündogan sogar mit Widmung darauf. Dennoch stand nach der WM vor allem Mesut Özil in der Schusslinie öffentlicher Kritik. Obwohl er auch nicht schlechter spielte, als viele seiner Mannschaftskameraden.
Neben Selbstkritik übte aber auch Oliver Bierhoff recht unverständliche Kritik an Mesut Özil. “Wir haben Spieler bei der deutschen Nationalmannschaft bislang noch nie zu etwas gezwungen, sondern immer versucht, sie für eine Sache zu überzeugen. Das ist uns bei Mesut nicht gelungen. Und insofern hätte man überlegen müssen, ob man sportlich auf ihn verzichtet,” monierte Bierhoff recht offen die Einstellung des deutschen Nationalspielers. Doch wie erklärt er dann die ebenfalls schwachen, wenn nicht noch schwächeren Leistungen von eigentlichen Säulen des Teams wie Thomas Müller oder Toni Kroos. Die Erdogan-Affäre um Özil und Gündogan scheint da eher eine einfache Lösung, als tiefgreifende Aufarbeitung.
Das gibt auch Bierhoff wiederum selbst zu. “Ich glaube, die Tatsache, dass Mesut und Ilkay die Fotos gemacht haben, hat die Mannschaft nicht so sehr beschäftigt. Aber die Debatte war nachhaltig. Im Rückblick würde ich versuchen, dieses Thema noch klarer zu regeln”, moniert der Teammanager auch das eigene Vorgehen. Aber wenn die Fotos mit Erdogan die Leistung nicht beeinflusst haben, warum dann Mesut Özil so in die Schussbahn der Kritiker stellen?
Bierhoff kündigt Veränderungen an, ohne Bewährtes zu zerstören
Dass mehr Konsequenzen aus dem Auftreten der deutschen Nationalmannschaft bei der WM in Russland folgen müssen, als einzelne Spieler als Sündenbock zu brandmarken, ist auch Bierhoff klar. Und er stellt “tiefgreifende Veränderungen” an. “Was zu einer 14 Jahre währenden Erfolgsgeschichte beigetragen hat, darf nicht einfach ignoriert werden,” verweist der Teammanager zuerst noch auf die positive Entwicklung des deutschen Fußballs seit 2004, als er zusammen mit Jürgen Klinsmann und Joachim Löw die Verantwortung für die Nationalmannschaft übernahm. “Klar ist aber, dass wir alles auf den Prüfstand stellen müssen, personell und strukturell”, sagte Bierhoff: „Dazu gehören die Zusammenstellung des Kaders genauso wie die internen Abläufe. Es muss Einschnitte auf allen Ebenen geben. Wir haben uns in Russland nicht als Mannschaft präsentiert. Das ist etwas, was mir besonders wehtut.” Zuletzt haben bereits verdiente Nationalspieler wie Sami Khedira, Mats Hummels und Mario Gomez den fehlenden Zusammenhalt im Team als Kritikpunkt ausgemacht.
Auch die immer größere Distanz zwischen Fans und Nationalmannschaft hat Bierhoff nach eigener Aussage “registriert” und nimmt “diese Wahrnehmung sehr ernst”. Was die folgende Rechtfertigung aber eher nicht vermuten lässt. Denn Bierhoff relativiert: “Im Trainingslager sind die Spieler teils mit dem Fahrrad zum Trainingsplatz gefahren, haben bei den wartenden Fans angehalten und Autogramme geschrieben. Oft wird da einiges verklärt, denn solch eine Nähe gab es zu meiner aktiven Zeit nie.” Ob aber radelnde Nationalspieler die Ausschlachtung der DFB-Mannschaft als Werbeträger für verschiedene Firmen mit abgehobenen Slogans (‘Best never rest') und die somit eintretende Distanzierung vom eigentlichen Bild als Fußballmannschaft wettmachen können, darf angezweifelt werden.