Fußballfans in ganz Europa sind derzeit in Partystimmung. In Deutschland ist das noch weitaus stärker der Fall, weil wir 2024 das Gastgeber-Land sind. Obdachlose Menschen stehen in einer solchen Zeit allerdings vor ganz besonderen Herausforderungen.
In einem Interview mit rbb24 werden die Themen Stigmatisierung und Verdrängung angesprochen. Der Straßensozialarbeiter Tino Kretschmann steht dabei Rede und Antwort und berichtet, was die EM 2024 für die Obdachlosen in Deutschland bedeutet.
Interessieren sich Obdachlose für Fußball?
Die erste Frage, die Tino Kretschmann gestellt wurde, bezieht sich darauf, ob sich auch Obdachlose in Deutschland für die Fußball-EM 2024 interessieren. Das wurde ganz klar bejaht, denn Obdachlose sind ein Ausschnitt der gesamten Gesellschaft und demnach interessieren auch sie sich teilweise für Fußball. Die einen verfolgen das Turnier, reden darüber oder versuchen sogar, irgendwie selbst Fußball zu schauen – wieder andere interessieren sich wie in jedem anderen Lebensstandard auch nicht dafür und die EM spielt für sie keine bewusste Rolle.
In der Bahnhofsmission am Hauptbahnhof in Berlin wurde mindestens ein Spiel der deutschen Nationalmannschaft übertragen, sodass es auch Obdachlosen möglich war, Fußball zuschauen.
Welche Auswirkungen hat die EM auf das Leben Obdachloser?
Für Obdachlose verändert sich durch die EM 2024 tatsächlich sehr viel, aber vielleicht anders als vermutet. Einerseits drängen natürlich unzählige Fußball-Fans aus allen Ländern nach Deutschland, sodass die Straßen insgesamt viel voller sind.
Das bedeutet aber nicht, dass es für Obdachlose auch mehr Menschen gibt, die ihnen ein wenig Geld spenden. Das Gegenteil ist eher der Fall. Der Sozialarbeiter erzählt, dass es täglich Lautsprecher-Durchsagen am Hauptbahnhof gibt, die vor organisierten Bettelbanden warnt. Diese Stigmatisierung hält er für eine Frechheit. Für Obdachlose ist das Geld von Passanten eine Möglichkeit, selbst zu überleben.
Auch rund um den Alexanderplatz gab es schon vor dem Start der EM Veränderungen für Obdachlose. Es hat Räumungsankündigungen gegeben. In Berlin Mitte waren es 25 Ankündigungen dieser Art in nur zwei Wochen. Wortwörtlich hieß es also, Obdachlose sollen vor dem Start der EM quasi “weggeräumt” werden, weil sie möglicherweise für die Gäste aus dem Ausland nicht ins Bild passen. Vielleicht ging es auch darum, dass die Touristen ohne Obdachlose in ihrer Nähe ungestört feiern können.
Kretschmann stellt in dieser Hinsicht einige Vermutungen auf. Für ihn wirkt es, also wolle man die verschiedenen Problemlagen einfach für ein paar Wochen ausblenden. Obdachlose erinnern daran, dass nicht alles im Leben toll ist, aber bei der EM wollen die Menschen ausgelassen feiern und ihren Spaß haben.
An welche Orte gehen diese Menschen nun?
Wenn es in vielen Bereichen nun Räumungen von Obdachlosen gegeben hat, um das Stadtbild zur EM zur verändern, bleibt die Frage, wohin diese Menschen ohne Bleibe gegangen sind. Kretschmann sagt, dass die Menschen zum Teil nicht mehr auftauchen und manch andere versuchen es in einem anderen Bezirk.
Wenn Platten (so werden die Orte genannt, an denen sich Obdachlose längere Zeit aufhalten und an denen sie auch oft schlafen) geräumt werden, wechseln sie den Ort und versuchen, einen neuen Platz zu finden. Nach einer Räumung kommen dann andere Obdachlose an ihren Platz und versuchen ihr Glück, bis der Kreislauf von vorne losgeht.
Gab es Auseinandersetzungen?
Kretschmann wurde auch gefragt, ob es während der EM 2024 bis jetzt Auseinandersetzungen mit Obdachlosen und Fußball-Fans gegeben hat. Gerade Fans sind bei oder nach den Spielen gelegentlich betrunken unterwegs und einige sind rassistisch. In Berlin hat er selbst noch nichts von richtigen Auseinandersetzungen mitbekommen. Er betont aber auch, dass derartige Vorfälle manchmal erst später herauskommen.