So etwas hat man auch selten erlebt: Nur einen Tag vor dem ersten Saisonspiel hat St. Paulis Trainer Jos Luhukay seiner eigene Mannschaft und dem gesamten Club ein vernichtendes Zeugnis ausgestellt. Der Coach kritisierte die völlig überzogene Erwartungshaltung im Verein und bemängelte zu viel Bequemlichkeit auf allen Ebenen. Sollte das Team nicht bis zum Ende der Transferperiode nicht noch massiv verstärkt werden (Luhukay: “Auf allen Positionen!”), sieht der Niederländer für die kommende Spielzeit schwarz. Wie zu hören ist, haben die Aussagen den Verantwortlichen beim FC St. Pauli gar nicht gefallen. Droht Luhukay jetzt der Rauswurf?
Konstruktive Kritik sollte bei einem professionell geführten Proficlub immer möglich sein, vor allem wenn sie von einem leitenden Angestellten wie einem Trainer kommt. Was Jos Luhukay am Sonntag auf der Pressekonferenz vor dem Auswärtsspiel bei Arminia Bielefeld (Montag um 20:30 Uhr) allerdings vom Stapel ließ, war durchaus grenzwertig.
Luhukay sieht zu viel Bequemlichkeit
“Ich nehme jetzt kein Blatt mehr vor den Mund: In den letzten sechs Wochen habe ich festgestellt, dass bei St. Pauli zu viel Bequemlichkeit herrscht. Hier wird zu sehr in der Komfort-Zone gearbeitet. Und jeder ist mit jedem befreundet. Das alles kann man doch in die Tonne stecken”, begann Luhukay seinen Rundumschlag.
Zu viele verletzte Spieler
Er vermisse “Bereitschaft” und “Leistungsenergie” in allen Bereichen beim FC St. Pauli, so Luhukay. Auch mit dem aktuellen Kader ging der Niederländer hart ins Gericht: “Ich würde mir wünschen, wenigstens zehn Akteure zu haben, die 25 Spiele pro Saison machen können. Dann hätten wir ein Gerüst. Aber diese Spieler haben wir nicht.”
Jos Luhukay trainiert den Kiezclub seit vergangenem April, seitdem beklagt der Trainer immer wieder eine große Zahl an verletzten Spielern. Auch aktuell ist das Lazarett am Millerntor wieder prall gefüllt. Drei der bislang vier Neuzugänge sind derzeit nicht einsatzbereit.
“Haben keinen Ausnahmespieler”
Außerdem vermisst Luhukay offenbar individuelle Qualität bei seiner aktuellen Mannschaft: “Wir haben keinen Ausnahmespieler. Bei Hertha hatte ich Ronny und Ramos. Stuttgart hat in dieser Saison Gomez und Didavi. Solche Spieler machen den Unterschied, die können Partien entscheiden. Aber so einen Spieler haben wir nicht.”
Zu hohe Erwartungen?
Dem Coach stößt offenbar sauer auf, dass bei der Führung von St. Pauli vom Aufstieg geträumt wird. “Man kann nicht solche Erwartungen schaffen, wenn die Realität soweit von dem entfernt ist, was man nach außen kommuniziert”, leistete sich Luhukay auch einen Seitenhieb auf die Bosse.
Er könne sogar noch weiter ausholen und tiefer in seiner Kritik gehen, aber das wolle er nicht, denn sonst “wird es zu persönlich”, so Luhukay. Wen oder was der Trainer mit dieser Anspielung meinte, blieb allerdings offen.
Droht Luhukay jetzt die Entlassung?
Wie man aus dem Umfeld des FC St. Pauli hört, haben die öffentlichen Worte des Trainers in der Führungsetage ein kleines Erdbeben ausgelöst. Sollte das Auftaktspiel gegen Arminia Bielefeld am Montagabend verloren werden, steht Luhukay wohl eine extrem ungemütliche Woche bevor.
Lienen könnte als Interimscoach übernehmen
Nicht ausgeschlossen, dass die Bosse des FC St. Pauli nach diesem Eklat die Reißleine ziehen und Luhukay entlassen. Kult-Trainer Ewald Lienen – aktuell als technischer Direktor im Club – könnte in diesem Fall interimsweise übernehmen.