Auf dem Platz gab die deutsche Nationalmannschaft bei der WM 2018 in Russland ein schwaches Bild ab. Lediglich ein Sieg gelang ihr im zweiten Gruppenspiel in letzter Sekunde durch einen stark verwandelten Freistoß. Doch Biss, Leidenschaft, gemeinsames Arbeiten und die richtige Balance auf dem Platz waren zu keiner Zeit zu erkennen. Wer aber dachte, das historische Vorrunden-Aus sei der Tiefpunkt des deutschen Fußballsommers, sieht sich leider getäuscht. Denn noch viel desatröser als das sportliche Abschneiden ist die Aufarbeitung des Scheiterns. Nach Oliver Bierhoff, der mittlerweile zurückgerudert ist, sieht auch DFB-Präsident Reinhard Grindel die Verantwortung bei Mesut Özil.
Nachdem bereits DFB-Teammanager Oliver Bierhoff Mesut Özil als Gesicht der Krise und des desaströsen Ausscheidens bei der WM benannt hatte, schießt sich nun auch DFB-Präsident Reinhard Grindel auf den Deutsch-Türken ein. Vor allem ein fehlendes Statement zur Erdogan-Affäre fehlt dem starken Mann beim DFB. “Es stimmt, dass sich Mesut bisher nicht geäußert hat. Das hat viele Fans enttäuscht, weil sie Fragen haben und eine Antwort erwarten. Diese Antwort erwarten sie zu Recht. Deshalb ist für mich völlig klar, dass sich Mesut, wenn er aus dem Urlaub zurückkehrt, auch in seinem eigenen Interesse öffentlich äußern sollte.”
Dass es durchaus kritisiert werden kann, wenn sich zwei deutsche Nationalspieler mit dem türkischen Autokraten Erdogan mitten in dessen Wahlkampf ablichten lassen, ist offensichtlich. Doch dass der Präsident des DFB einem seiner Spieler öffentlich so die Pistole auf die Brust setzt und zu einem Bekenntnis zwingt, ist hanebüchen. Dass Grindel anschließend noch von ‘Fairness' oder ‘Chance' in Bezug auf Özil spricht, ist nur noch eine Farce. “Wir möchten auch abwarten, in welcher Form sich Mesut einlässt. Es gehört zur Fairness, einem verdienten Nationalspieler, der einen Fehler gemacht hat, diese Chance zu geben”, ist sich Grindel nicht zu schade noch zu betonen.
Grindel will nach Bierhoffs Entschuldigung “kühlen Kopf bewahren”
“Oliver Bierhoff hat sehr deutlich gemacht, dass er sich hier missverstanden fühlt. Und dass es in keiner Weise seine Absicht war, einen Spieler öffentlich für das Scheitern bei der WM verantwortlich zu machen”, versichert auch Grindel noch einmal. “Die gesamte Debatte zeigt, wie sensibel das Thema ist. Der Resonanzboden für das Thema Integration hat sich in unserem Land verändert. Kluges Krisenmanagement heißt kühlen Kopf bewahren und nicht jedem Druck nachgeben.” Statt kühlen Kopf zu wahren gießt Grindel mit seinen Aussagen weiter Öl ins Feuer dieser wahrlich sensiblen Debatte und setzt Mesut Özil weiter öffentlich unter Druck.
Bierhoff entschuldigte sich mit den Worten: “Es tut mir leid, ich habe mich da falsch ausgedrückt und dadurch eine Missinterpretation hervorgerufen. Was ich sagen wollte war: ‘Wenn wir auf ihn verzichten, dann nicht aus dem Grunde heraus, dass dieses Foto entstanden ist, sondern aus sportlichen Gründen. Aber wir haben uns für ihn entschieden und dazu stehen wir auch. Es sollte keine Aussage im Nachhinein sein, dass wir auf ihn hätten verzichten sollen.'” Er versichert, dass er “keinen einzelnen Spieler an den Pranger stellen” wollte. Doch das tat er mit seinen getätigten, noch einmal durchgelesenen und dann zum Druck freigegebenen Worten. So wie es nun Reinhard Grindel macht.