Es gibt viele Brandherde, die der DFB löschen muss. Hinzugekommen ist die Debatte über die große Spaltung in der Nationalmannschaft. Die Rede ist von “Kanaken” und “Kartoffeln”. Nun bezieht die Bundeskanzlerin Stellung.
“Kartoffeln” gegen “Kanaken”? Spieler mit Migrationshintergrund gegen Spieler ohne ausländische Vorfahren? Joachim Löw baut mit seinem Stab den Kader für den Neuanfang nach dem WM-Desaster auf und wird zu Beginn des 48-Stunden-Meetings mit einem vermeintlichen kulturellen Riss innerhalb der Nationalmannschaft konfrontiert, welcher auch bei der Weltmeisterschaft die Stimmung bedrückt haben soll.
“‘Kanaken'-Spaltung im WM-Team” lautete es bei der “Bild” am Montag. Löw indes möchte seine WM-Analyse auch weiterhin nicht der Öffentlichkeit präsentieren, was die Spurensuche nach möglichen Gründen für das WM-Aus nur weiter befeuert.
Für Löw ist das Thema Teamgeist unabhängig des Relevanz- oder Wahrheitsgehalts der letzten Schlagzeilen von großer Bedeutung. “Uns ist klar, dass wir dieses Thema in Zukunft detailliert betrachten müssen. Auf alle Fälle werden wir hart daran arbeiten, wieder ein echtes Team zu werden”, sagte Oliver Bierhoff. Verbandschef Grindel kündigte an, dass er vor den anstehenden Mannschaftsspielen gegen Frankreich und Peru Rücksprache mit dem Mannschaftsrat halten will.
Kanzlerin Merkel bezieht Stellung
Der vermeintliche Riss in der Mannschaft verläuft zwischen verschiedenen Akteuren. Darunter Jerome Boateng, Antonio Rüdiger, der nicht bei der WM dabei gewesene Leroy Sané, der wütend zurückgetretene Mesut Özil und Julian Draxler. Ihnen gegenüber stehen Thomas Müller und Mats Hummels. Während die ersten eher durch extravagante Kleidung und ihren Hang zur Rap-Musik auffallen, treten letztere eher konservativ auf. Es scheint hier weniger um die Herkunft als um den Lebensstil zu gehen, auch wenn man es den Schlagzeilen anders entnehmen mag.
Nach der Dauerdebatte rund um die Erdogan-Fotos im Sommer, zu welcher Bundeskanzlerin Angela Merkel am Wochenende befragt wurde, dreht sich im Nationalteam nun alles um die gesellschaftlich relevante Frage, was es eigentlich heißt, ein deutscher Fußballspieler zu sein.
“Man kann unterschiedliche Meinungen darüber haben, ob das mit dem Foto korrekt oder falsch war, aber die Art der Diskussion, welche im Nachhinein stattgefunden hat, hat mir zu großen Teilen überhaupt nicht gefallen, und darauf habe ich mich auch ausgerichtet”, sagte Merkel. Damit dürfte sie auch Löw, welcher immer noch kein Statement zur Causa Özil abgegeben hat, aus dem Herzen gesprochen haben.
DFB-Chef Grindel wird diese Worte wahrscheinlich auch als eine Kritik daran verstehen, wie er mit komplexen Themen umgeht. “Es gilt, sich um das Empfinden der Betroffenen zu kümmern. Wenn uns jemand, der einen Migrationshintergrund hat, sagt, er würde sich aus irgendwelchen Gründen nicht wohl fühlen, dann müssen wir das zunächst einmal ernst nehmen und uns darüber unterhalten”, erklärte die Kanzlerin.
Ein Randaspekt der Zersplitterung
Dass sich die Nationalspieler mehr oder weniger ernst als “Kanaken” und “Kartoffeln” bezeichnet haben sollen, stellt derweil nur einen Randaspekt der Debatte rund um die Zersplitterung des gescheiterten Ex-Weltmeisters in Russland dar. Zum Zeitpunkt des Turniers debattierte man viel mehr über mögliche Konflikte zwischen den Weltmeistern von 2014 und den Confed-Cup-Siegern von 2017 – also zwischen Alt und Jung. Solche Gruppen, wie die Weltmeister und die Confed-Cup-Sieger gibt es hier nicht”, hob Manuel Neuer beim Turnier hervor.
Löws nicht mehr vorhandenes Gespür für die Atmosphäre im DFB-Team war schon vielfach Thema, wenn es um das WM-Scheitern ging. Auch dieser Frage wird sich der Trainer stellen müssen, wenn es am Mittwoch zur großen Pressekonferenz in der Allianz Arena geht, wo er seine WM-Konsequenzen und den neuen Kader für die kommenden Spiele vorstellen wird. Löw war immer stolz darauf, dass bei ihm die Herkunft keine Rolle spielte, wodurch die Nationalmannschaft zum Stilbild einer gelungenen Integration werden konnte.
Beim WM-Sieg im Jahr 2014 hatte Löw potenzielle Dissonanzen gespürt und daher für die Meisterschaft in Russland gezielt Wohngemeinschaften gegründet, wodurch ein Wirgefühl entstehen sollte. Damals handelte es sich nicht um schwarz-weiße Konfliktlinien, sondern um rot und schwarz-gelb. Dortmunder und Münchner mussten zusammenkommen. So kam der Ur-Borusse Kevin Großkreutz beispielsweise absichtlich ins Zimmer des Ur-Bayern Schweinsteiger.
Der kürzlich mit dem Bayerischen Verdienstorden ausgezeichnete Bastian Schweinsteiger traut es Joachim Löw zu, dass er die richtigen Schlüsse aus dem WM-Desaster zieht. “Ich bin davon überzeugt, dass Jogi die Qualitäten hat, um korrekte Entscheidungen zu treffen und danach die richtigen Änderungen zu machen. Er ist der richtige Mann dafür.”