Häufig beschweren sich die Zuschauer, dass der Schiedsrichter nicht hart genug durchgreift und den Freistoß oder den Elfmeter nicht gibt. Es geht aber auch andersherum: In manchen Spielen sitzen die Gelbe und die Rote Karte so locker, dass sich die Fußballfans fragen, welche Laus dem Mann mit der Pfeife über die Leber gelaufen ist.
Laut einer neuen Preprint-Studie, die gemeinschaftlich von deutschen und österreichischen Forschern durchgeführt wurde, trifft dieses Phänomen vor allem auf kleine Schiedsrichter zu. Insbesondere dann, wenn sie erheblich kleiner sind als der betroffene Spieler, sollen sie dazu neigen, das Strafmaß zu erhöhen.
Als Grundlage dienen Bundesliga-Spiele
Die Ergebnisse der Studie basieren auf 2.340 Spielen in der Deutschen Bundesliga, die in den Saisons 2014/15 bis 2021/22 stattgefunden haben. Besonders Augenmerk haben die Forschenden dabei auf Fouls, Gelbe Karten und Rote Karten gelegt.
Die Auswertung der Daten zeigte, dass Schiedsrichter in Abhängigkeit von ihrer eigenen Körpergröße in Relation zur Größe des Spielers unterschiedliche Entscheidungen fällten. Wenn der Spieler deutlich größer als sie war, stieg die Wahrscheinlichkeit, dass er bestraft wurde. Befanden sich beide Parteien auf Augenhöhe, bekam der Spieler seltener eine Verwarnung.
Kleine Schiedsrichter leiden unter dem Napoleonkomplex
Nach der Meinung der Forschenden soll dieses Verhalten auf den sogenannten Napoleonkomplex zurückgehen. Demzufolge haben kleinere Menschen aufgrund ihrer geringeren Körpergröße das Gefühl, dass es ihnen an sozialer Dominanz fehlt. Diesen Umstand versuchen sie durch Kompensationshandlungen auszugleichen. Im Fall der Schiedsrichter werden dafür Sanktionen eingesetzt, infolge derer sie Autorität gewinnen möchten.
Der Effekt tritt vor allem in der ersten Halbzeit auf
Darüber hinaus fanden die Forschenden heraus, dass kleinere Schiedsrichter vor allem in der ersten Halbzeit zu härteren Strafen neigen. Der Hintergrund ist vermutlich, dass sie ihre Dominanz und Autorität zu Beginn des Spiels aufbauen möchten. Sobald das geschehen ist, sind keine strengeren Sanktionen mehr notwendig.
Größere Schiedsrichter greifen seltener zur Gelben Karte
Schiedsrichter, die den Spielern körperlich überlegen sind, weil sie diese überragen, pfeifen die Spiele hingegen oft weniger streng. Das soll daran liegen, dass sie ihre Autorität nicht erst beweisen müssen, sondern diese schon natürlicherweise durch ihre Körpergröße gegeben ist. Darüber hinaus verändert sich ihre Neigung zu Verwarnungen im Laufe des Spiels in der Regel nicht. Sie bleiben also während beider Halbzeiten ähnlich streng.
Größere Spieler sind einem höheren Risiko ausgesetzt
Wenn man der Studie Glauben schenken mag, bedeutet das für die Spieler im Umkehrschluss, dass sie bei kleineren Schiedsrichtern der Gefahr einer ungleichen Behandlung ausgesetzt sind. Je größer sie sind, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass sie verwarnt oder sogar vom Platz gestellt werden. Kleinere Spieler haben hingegen einen Vorteil und werden bei gleichwertigen Vergehen seltener bestraft.
Lösungsansätze für die Zukunft
Schiedsrichter unterliegen schon jetzt einem strengen Regelwerk und haben nur einen geringen Ermessensspielraum, der durch den VAR-Check noch weiter eingeschränkt wird. Dennoch sollten ihre Entscheidungen nicht unbewusst von ihrer Körpergröße beeinflusst werden. Um solche Effekte zu vermeiden, kann in Zukunft bei der Ausbildung darauf eingegangen werden. Auch in Nachbesprechungen von Spielen kann das Thema angesprochen werden. Schiedsrichter sollten in jedem Fall für den Napoleonkomplex sensibilisiert werden, sodass die Qualität der Entscheidungen noch besser wird.